Eigentlich sollten wir gar nicht mehr hier sein. Auch bei der US-Army scheint nichts so beständig zu sein wie die Lageänderung. Je größer und komplexer die Maschinerie desto träger ist sie, denke ich und grummel vor mich hin.
Der Presseoffizier des Bataillons Second Lieutenant Eugene Park aus Los Angeles hat uns eigentlich zugesichert, dass wir gegen 11.00 Uhr abgeholt werden, um zu unserer Kompanie im Combat Outpost (COP) Sar Hawsa gebracht zu werden.
Axel hat sich auf das Feldbett gehauen. Die Nacht hat er nicht so gut geschlafen. Er wäre fast erfroren (sagt er), bis er sich ein Paar Feldbetten weiter in Richtung Heizlüfter legte. Am Morgen war es extrem neblig, jetzt bricht die Sonne durch.
Es ist Mittag, ich sitze im Zelt und habe den Heizlüfter ausgestellt, Lade die Akkus von Video- und Fotokameras. Ich versuche verzweifelt, die grundlegende Idee, die Geschichte herauszufiltern, über die ich berichten werde
Overkill
Es gibt so viele neue Eindrücke, so viele Perspektiven, Einzelheiten und mögliche Ansätze, dass ich den Wald auf dem Übungsplatz vor lauter Bäumen nicht sehe. Wenn ich aus dem Stehgreif einen längeren Text verfassen müsste, hieße er “Reporter verwirrt ohne Plan in Zelt auf Übungsplatz”.
Ein guter Journalist, so heißt es, bereitet sich vor, indem er sich einen groben Plan macht, worüber er berichten will, um dann gezielt schlaue Fragen an mögliche Protagonisten zu stellen und eine interessante Geschichte mit Leben zu füllen.
Nur Anfänger gehen ohne Plan an die Arbeit, denke ich. Ich versuche meine Verwirrung damit zu rechtfertigen, dass ich mich hier an eine komplett fremde Welt gewöhnen muss. Zudem weiß ich gar nicht, wo ich in fünf Minuten sein werde.
Neid und Fiktion
Insgeheim beneide ich Axel, der sich aus der Veranstaltung keinen Reim machen muss, sonder das knipst, was er sieht. ‘Shoot first, ask the questions later’ – wenn überhaupt. Das macht er zugegebener Maßen ziemlich gekonnt.
Ich besänftige mich mit dem Gedanken, dass mir die zündende Idee schon noch kommen wird und, dass dieses nicht nur eine Übung für die Soldaten der 172nd ist, sondern auch für mich als Berichterstatter.
Ich tröste mich mit dem Gedanken an den Reporter in der HBO-Serie “Generation Kill”, der mit einer Einheit der US-Army 2003 in den Irak einmarschiert und auch eher als passiver Beobachter im Humvee sitzt.
Er sah immer gechillt aus, saß hinten im Humvee und nahm an der Invasion des Irak teil. Er machte sich ab und an Notizen, um später seine Geschichte für den “Rolling Stone” zu schreiben. Fiktion und Realität.
Schüsse zur Downtime
Das Zelt heizt sich in der Märzsonne auf. Draußen sind Schüsse zu hören, obwohl heute “Downtime” ist, die letzte Ruhephase bevor alle Einheiten für zwölf Tage ununterbrochen im “Einsatz” sind. Überengagierte Vorgesetzte gibt es überall. In diesem Fall scheinen sie sich mit dem Feind verabredet zu haben.
“We are receiving sniper fire”, ertönt die Ansage über das Lautsprechersystem des Feldlagers. Sogenannte OPFOR, “Opposing Forces”, gespielt von Soldaten der US-Army, die vom JMRC gestellt werden, sitzen irgendwo in den umliegenden Hügeln und beschießen uns.
Abfahrt
Um 13.00 bekommen wir unseren Marschbefehl. Eigentlich sollen wir auf der Ladefläche eines Lastwagens mit Plane zusammen mit anderen Soldaten nach Sar Hawsa gebracht werden. Aber weil wir wieder mal auf irgendetwas warten müssen, steigen wir vom Fahrzeug.
Wir lernen die Soldaten kennen, die in ihren Humvees den Rest der Kolonne bilden. Der Platoon-Lieutenant lädt uns ein, mit seiner Einheit in den Humvees mitzufahren. Wir kriegen das Okay und fahren mit den Humvees einem Tankfahrzeug die sechs Kilometer nach Sar Hawsa. Die Fahrt verläuft zur Abwechslung angenehm zügig.
Die Klimaanlage macht ein Geräusch als ob jemand einen nassen Fetzen über ein Waschbret zieht. Als Proviant für die Fahrt reicht der Sergeant Bamberg mit dem Zahnfassungen in Gold aus South Carolina Kekse namens “Cheez Its” herum, mit dem Verweis, dass sie durstig machen.
Der “Gunner” mit dem MG im Turm des Humvees mach sich einen Spaß daraus, sich in der Gegend herumzukurbeln. Die Türen werden “combat locked” indem man den Hebel an der Innenseite der mit dickem Panzerglas versehenen Tür nach unten drückt.
Ziel
Es ist 16.15 Uhr als wir im COP ankommen. Wir werden vom Kommandeur der A Company 2-28, Captain James Perkins, in Empfang genommen. Er sei froh, uns als Gäste zu haben und werde uns wo es ginge unterstützen und die Wahrheit sagen. Die Sonne scheint.
Ich warte eigentlich permanent auf die Fortsetzung – wann kommt die denn?
Tag vier ist fertig!